Dschungelprüfung im Kernspintomographen

„Da es im Kernspintomographen zu großer Lärmbelastung kommen kann, überreicht Ihnen unser Personal automatisch einen Kopfhörer,“ lese ich auf einem Info-Blatt in der Umkleide in der radioaktiven Abteilung des Krankenhauses. „Automatisch,“ denke ich, „der Ausdruck passt nicht, kein Mensch überreicht dem anderen etwas automatisch. Oder steht dort draußen etwa ein Roboter, der mir den Kopfhörer gibt?“ Ich komme nicht dazu, mir länger Gedanken darüber zu machen, da die Tür aufgeht und die Schwester, die ich bereits von vorhin kenne, vor mir steht. Sie ist klein und zierlich, hat lange blonde Haare und auf ihrem Unterarm ist GLADBACH 1900  tätowiert. Sie erklärt mir, wie und wo ich mich hinzulegen habe und überreicht mir den im Vorwort angekündigten Kopfhörer. Ich tippel zur Monsterröhre und mache mich auf der Schublade lang. Die Schwester drückt mir noch einen verkabelten zitronenförmigen Gummi-Puffer in die Hand – der Holt-mich-hier-raus-Knopf. 

Im Liegen setze ich den Kopfhörer auf und stelle fest, dass er etwas zu groß ist. Die Schublade setzt sich in Gang und wird in die Röhre gezogen. Die Schwester rät mir, die Augen zu schließen, damit ich keine Platzangst bekomme. Als ich jedoch ganz drin stecke und urplötzlich ein Alarmgeräusch einsetzt, das mir durch Mark und Bein fährt, wird mir klar, dass die Enge das kleinere Problem ist. Ich drücke mir mit beiden Händen die Kopfhörer auf die Ohren und hoffe, dass es bald vorbei ist. Ich stelle mir vor, ich sei in einer Dschungelprüfung und müsse bis zum Schluss durchhalten, damit keine Sterne verloren gingen. Das Ganze ohne Kakerlaken und Ratten. Kurz darauf verstummt das dröhnende Geräusch tatsächlich, und ich atme auf. Ich spüre, wie ich ein Stück aus der Röhre herausgefahren werde, gerade so weit, dass Frau Gladbach mit mir schimpfen kann. „Sie bewegen sich zu stark, es ist keine einzige brauchbare Aufnahme dabei. Sie dürfen nicht zappeln!“
Ich schlucke. Das heißt also, ich bin dem Alarm quasi ohne Gehörschutz ausgesetzt, wie soll ich das überstehen?
„Der Kopfhörer ist zu groß!“
„Tut mir leid, geht nicht anders!“
Die Gladbach-Schwester ist wohl aufgrund von Kreischerei im Stadion immun gegen Lärm ???

Vier. Vier verschiedene Geräusche. Zuerst wieder der Alarm. Dann eine Art Säge, keine heulende, eine Säge ohne Kreis. Dann ein Dröhnen. Zwischen jedem neuen Einsetzen eine kurze Pause in der ich mich frage, wie schlimm die nächste Lärmattacke wird. Und sie wird schlimmer. Wie zum Henker soll ich das durchstehen? Ich habe kein Zeitgefühl mehr und weiß nicht, wie lange ich in dem Ding festsitze. Vor Panik zittere ich am ganzen Körper. Oft bin ich kurz davor, die Gummizitrone zu drücken und die Behandlung abzubrechen. Das vierte Geräusch, ich bin schon fast am Durchdrehen, da ist der Lärm vorbei, und sofort setzt sich die Schublade in Bewegung. Ich zittere noch immer, mein Kopf glüht, mir ist schwindlig. Dass ich die Dschungelprüfung bestanden habe, ist mir vorerst egal. Ich rapple mich umständlich auf, schwanke ein paar Schritte sinnlos umher und frage nach dem Weg zur Umkleide, alleine hätte ich sie nicht mehr gefunden. Ich schließe mich ein, setze mich auf den Boden, trinke Wasser und warte, bis das Zittern aufhört. Das dauert eine Weile. Ich könnte heulen. Irgendwann heitert mich der Gedanke wieder auf, dass ich alle Sterne geholt habe.

Ich ziehe mich an. Ich brauche Alkohol. Oder Süßigkeiten. Bekäme ich jetzt Bohnen und Reis, würde ich tatsächlich anfangen zu heulen.  

 

 

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