Taschengeld

Die Mutter: Da du nun 15 geworden bist, habe ich eine ganz tolle Überraschung für dich!
Die Tochter: Was denn? Mach es nicht so spannend …
Die Mutter:  Dein Vater und ich haben beschlossen, dein Taschengeld auf 70 Euro zu erhöhen!
Die Tochter: Das ist ja klasse … was ich mir da für Klamotten kaufen kann … wow!
Der Vater: Nun … an was für Klamotten hast du denn gedacht? Etwas Spezielles?
Die Tochter: Nein, weiß noch nicht, ich guck mal bei H&M … wieso fragst du?
Der Vater: Nun ja, als ich in deinem Alter war …
Die Mutter: Als WIR in deinem Alter waren!
Der Vater: … hatten wir ganz spezielle Vorstellungen, was für Klamotten wir wollten. Also, falls du vorhast, dich einer Jugendkultur anzuschließen, sag Bescheid, dann können wir dir auch mal was vorstrecken!
Die Tochter: Das klingt ja alles wirklich gut! Ihr seid heute ganz schön großzügig! Doch eines müsst ihr mir noch beantworten: Was ist eine Jugendkultur?

 

 

 

 

Warum ausgerechnet die 60er Jahre?

Ich stehe mit etwa 12 Jahren in einer Umkleidekabine vom Engelhorn & Sturm in Mannheim (heute nur noch Engelhorn) und trage eine Hose in … wenn ich doch die Farbe noch wüsste, irgendetwas zwischen Schlamm und Grau. Die Hose macht nicht den Eindruck, als hätte sie jemals ein Schnittmuster gesehen. Sie wirkt wie ein Sack, und der Schritt hängt auf Halbmast. Eine Figur habe ich urplötzlich auch nicht mehr. Ich schaue mich im Spiegel an und sage nur: „Oh nein.“ Die Verkäuferin steht neben mir, zerrt an der Hose rum, offensichtlich versucht sie, das Desaster erträglich zu machen. Und dann meint sie: „Gewöhn‘ dich doch mal an was Modisches!“ So. An was Modisches. An einen Mehlsack? Niemals! Ich fand die 80er schon in den 80ern scheiße. Aber es gab Hoffnung. Der Name der Hoffnung: Jugendkulturen. Die waren in den 80ern nämlich noch zur Genüge vorhanden. Wir hatten daheim die Hörzu. Die war immer ein bisschen bieder und seicht, aber sie hatte zwischendurch Highligths. Das absolute Highlight, da war ich etwa 13, war ein Artikel über Jugendkulturen, mit Beispielfotos, damit es jeder rafft. Neben dem Anhänger der jeweiligen Kultur stand auch noch ein Elternteil, der sagte, wie er über die Stilrichtung des Jugendlichen dachte. Ich erinnere mich an folgende Jugendkulturen: Wave, Heavy Metal (übersetzt als „Schwermetaller“), Sponti, Teds und Mods. Die Mutter der Wave-Anhängerin fand es schade, dass ihre Tochter nur in Schwarz rumlief. Die Mütter der Teds und Mods waren froh, dass ihre Buben sich immer so adrett kleideten. Das muss man sich mal vorstellen, etwa 1986: kein Stufenschnitt mit der obligatorischen Matte im Nacken, keine Moonwashed-Jeans, keine Einheits-Turnschuhe, keine super-bequemen Sweatshirts. Sondern: Anzüge, Krawatte, richtige Schuhe. Geil. Fand ich schon mit 13, deshalb kam ich auch mit der Sackhose vom Engelhorn nicht zurecht. Wie sich die weiblichen Teds und Mods kleideten, davon war kein Bild in der Hörzu. Doof. Die Motivation, weiterzuforschen und mich selbst so anzuziehen, kam dann erst mit 15. Noch fand ich die 50er und die 60er Jahre gleich gut, doch dann gab es vier Gründe, warum die 60er Jahre das Rennen machten: die Beatles. Sie trugen schöne Anzüge mit Krawatten, und die Haare waren natürlich toll. Und dann die Musik. „To lead a better life, I need my love to be here…“ Da war sie, die „close harmony“, ein Stilmittel, bei dem parralele Terzen Herzen erweichen. Daher fand ich auch Simon and Garfunkel gut. Im Sommer 1986 sangen wir „The Sound of Silence“ im Schulchor. Bis heute kann ich alle fünf Strophen auswendig – und die zweite Stimme singen, die eine Terz unter der ersten liegt.

Nächstes Mal: Klamottenkrise 88 – wo bekomme ich im Zeitalter von Blazern mit hochgekrempelten Ärmeln und Schulterpolstern, Volantröcken, Cowboystiefeln und T-Shirts, die man als Segel auf einem Viermaster einsetzen könnte, Klamotten im Stil der 60er her? Und vor allem: wie bringe ich es meiner Mutter bei?

Anfang der 80er waren plötzlich die 50er in

Das erste Mal, dass ich bemerkte, dass ich auf Vintage (oder in diesem Fall besser gesagt: retro) stehe, war, als Anfang der 80er Jahre Petticoats und Baby Dolls in Mode kamen. Ich war schon immer ein Mensch, der nicht genau wusste, was er wollte. Immer ein bisschen unentschlossen. Doch als ich dann mitbekam, dass die Mode der 50er Jahre zurückkam, änderte sich das schlagartig, und ich wusste zu hundert Prozent, was ich wollte: einen Petticoat, kreisrund. Natürlich gab es Diskussionen mit meiner Mutter und meiner Oma. „Krinoline gab es schon Mal, und zwar im Krieg. Im ersten“, sagte meine Oma. „Ein Petticoat ist nichts für den Alltag“, sagte meine Mutter. Aber warum sollte 1982 etwas plötzlich nicht mehr im Alltag tragbar sein, was es 1955 war? Nach langem Bitten und Betteln bekam ich ein rot-weiß-gestriftes Kleid mit Petticoat. Hurra, ich liebte es über alles und trug es, bis es zu klein war. Nächste Baustelle: Baby Doll. „So ein Unsinn, man trägt es doch nur im Bett, da ist es egal, … und warum nur willst du immer dieses alte Zeug?“ „Ich will ein Baby Doll.“ Fünf Diskussionen später hatte ich eines. Weiß mit blauen und roten Blümchen drauf. Ich trug es so lange, bis es zu klein war. Ein Jahr drauf, als ich zehn war, waren die 50er Jahre passé und der nächste Trend kam daher: der Minirock der 60er Jahre. Natürlich wollte ich ums VERRECKEN einen Minirock, immerhin hatte ich in der Hörzu gelesen, dass er damals für die Freiheit der Frauen gestanden hatte. An dieser Stelle halfen, ach, keine Diskussionen. „Du bekommst keinen Minirock, die sind zu kurz. Früher hat man dazu breiter Gürtel gesagt.“ „Ich will aber einen Minirock.“ Meine Mutter kaufte mir dann einen Rock, der eigentlich als Minirock gedacht war, ich musste ihn mir nur eine Größe größer kaufen, damit er bis zum Knie reichte. Und ich könnte wetten, dass diese Story sich bereits knapp 20 Jahre davor abgspielt hat, so oder so ähnlich. „Diese scheiß Engländer mit ihren komischen Haaren, ihrem grässlichen Gesang und jetzt auch noch diese kurzen Röcke …“ Nun ja. Der Minirock hatte einen Gummizug. Und er passte auch noch, als ich größer wurde. Ich trug ihn so lange, bis er endlich kurz war.

Im nächsten Teil erzähle ich Euch dann, warum mir gerade die Musik der 60er Jahre besonders gut gefiel, wie ich mit 12 Jahren mit einer Verkäuferin beim Engelhorn & Sturm wilde Kämpfe ausfocht, und wie ich 1986 in der Hörzu zum ersten Mal einen Artikel über Jugendkulturen in die Hände bekam.

Peaslands wird ab sofort zum Vintage-Blog!

Ab und zu wird es mal Zeit, dass sich etwas ändert, man darf nicht allzu oft zurückschauen – hört man öfter. Aber ohne Zurückschauen läuft es nicht, wenn man einen Vintage-Blog hat, da ist Zurückschauen an der Tagesordnung. Lasst es mich anders ausdrücken: Ich blicke nach vorn und schaue dabei in den Rückspiegel. Wie ich zu Vintage gekommen bin, erfahrt Ihr demnächst auf diesem Blog. Eines will im Voraus gesagt sein: Ich stand schon auf Vintage, da bedeutete der Begriff unter anderem noch „Weinlese“ (das heißt, die Pälzer Winzer gebrauchten ihn noch am ehesten, wenn englischsprachige Gäste den Worschtmarkt besuchten). Ich werde auf diesem Blog auch auf Events wie Flohmärkte oder Sixties-Konzerte aufmerksam machen. Damit fange ich prompt an. Am Wochenende gehe ich auf den Nachtkonsum in der Festhalle Baumhain im Luisenpark. Als ich das letzte Mal dort war, hatte ich mir vorgenommen, Sachen im Boho-Style zu suchen, um ein bisschen etwas an meinem Stil zu ändern. Normalerweise trage ich Sixties-Style, sprich: kräftige Farben, Schwarz-Weiß-Muster, Blubberblasenmuster, geometrische Muster, Kleidchen zu Events, schwarze Jeans im Alltag. Und zu allem Stiefeletten. Außer im Sommer. Jetzt ging ich also zum Nachtkonsum und suchte Sachen im Boho-Style: Fake-Fur-Besätze, Ethno-Muster, Gehäkeltes, lange Ohrringe. Meine Freundin, die dabei war, meinte trocken: „Ich weiß nicht, ob das überhaupt dein Stil ist.“ Sie sollte Recht behalten.Bei jedem Teil im Boho-Style sagte eine innere Stimme: „Das geht absolut nicht.“ Ich kam wieder mit zwei einfarbigen T-Shirts in kräftigen Farben (rot und petrol, petrol ist die geilste Farbe der Welt), einem Ring mit Blubberblasen-Muster und einem Lurex-Oberteil. War wohl nichts mit Boho. Klingt nur gut:Boouuhoouuu – das Wort könnte aus dem Odenwald stammen.

Tipp: Nachtkonsum Mannheim, Samstag, 25. März, Festhalle Baumhain im Luisenpark. Öffnungszeiten: 17 bis 23 Uhr, Eintritt: 3, 50 Euro (Kombi-Ticket für Park und Markt)

Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett – oder: warum ich fast nur noch Krimis lese

Es begann mit dem Umzug vor eineinhalb Jahren. Ich zog von Düsseldorf ins Haus meiner Eltern zurück. Meine Mutter und ihr ganzer Bekanntenkreis (alles Frauen) liest ausschließlich Krimis – vom Tod im Saukopftunnel bis zum Islandkrimi ist alles dabei. Wenn sie mit meinem Buch fertig ist, bekomme ich es ungefragt weitergereicht. Und ich, bequem wie ich bin, wollte nicht lange nach neuen Büchern suchen, habe mir eines nach dem anderen vorgenommen und mich immer mehr zum Krimi-Leser gemausert. Ich lese Onkel Arnaldur, Val McDermid, Charlotte Link, Jean-Luc Bannalec, Mary Higgins Clark und den guten alten Sir Arthur Conan Doyle. Ein Leben ohne Sherlock Holmes ist möglich, aber sinnlos, nicht wahr, Watson? Da ich für den Mannheimer Morgen schreibe, gehe ich jetzt auch auf Krimi-Lesungen. Im Januar war ich auf der Lesung zum „Blutworscht Blues“ mit Lilo Beil und Claudia Schmid, Ende März besuche ich zwei Lesungen im Rahmen des zurzeit stattfindenden Krimi-Festivals Kurpfalz. Richtig kriminell wurde es gestern Abend: Alexander Hartung hatte eine Lesung zu seinem Roman „Die Erinnerung so kalt“ im Reiss-Engelhorn-Museum. Eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche wird unter dem Brandenburger Tor gefunden. Lecker. Ein haarstäubernder Fall für den Berliner Kommissar Jan Tommen und die schrille Forensikerin Zoe, auf die ich mich schon besonders freue. Die Lesung wurde von einem Polizeieinsatz unterbrochen, der Autor sogar entführt. Zum Glück konnte ein SEK-Team ihn retten und zum Glück war das nur eine Inszenierung, um den Event spannend zu gestalten. „Krimis lesen mehr Frauen als Männer“, sagte Alexander nach seiner „Befreiung“. Das überraschte mich nicht!

Ich heiße zwar nicht Mimi, aber ich lese jeden Abend vor dem Einschlafen Krimis. (Es gibt sogar einen Krimi-Buchpreis, der MIMI heißt). Im Film von 1962 „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ liest Mimi, gespielt von Edith Hancke, jedoch keinen Krimi, sondern eine seichte Verwechslungsgeschichte. Laaaaaangweilig. Keine Mörder, kein Blut, keine Mordwaffen, keine Mörderhenker. Hätte sie „Die Erinnerung so kalt“ erwischt, wäre sie wahrscheinlich aufrecht im Bett gestanden. Mal sehen, wie gut ich in den nächsten Tagen schlafen werde.

Drei Haselnüsse für einen Manager – Teil 2

„Der Hund, der stets verneint?! Ach so. Und warum bist du hier?“
Der Pudel kam zu Heinrich hinter den Schreibtisch. Durch das lockige Fell konnte er die Augen des Hundes hervorblitzen sehen. „Ich kenne dein Problem und habe dir etwas mitgebracht, schau, an meinem Halsband findest du es.“
Heinrich schaute sich den Pudel genauer an und erblickte ein kleines Säckchen aus schwarzem Samt, das am Halsband festgeknotet war. „Schnapp es dir!“
„Schnappst du auch nicht zu?“
„Nein!“
Als Heinrich das Säckchen abknotete, bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass der Pudel mit dem Schwanz wedelte. Vorsichtig befühlte er den Inhalt des Säckchens, es schien sich um drei kugelartige Dinge zu handeln. „Jetzt schau schon hinein!“ Heinrich lockerte das Zugband und ließ den Inhalt auf seinen Schreibtisch kullern. „Drei Haselnüsse?“, fragte er verdutzt, „Sehe ich aus wie Aschenbrödel?“
„Nein. Und du hast auch nicht drei Wünsche frei, sondern in den Nüssen stecken drei Lösungsansätze für dein Problem.“
„Du weißt von meinem Konflikt zwischen der Führungsebene und den Mitarbeitern!“
Der Pudel nickte. Heinrich nahm die erste Haselnuss. „Was muss ich tun?“
„Knacken.“
Er sah sich auf dem Schreibtisch nach etwas Schwerem um und entschied sich für seinen Locher. Er haute auf die Nuss, sodass die Schale zersprang, und hervor kam ein zerknüllter Zettel, der relativ groß war für die kleine Nuss. Heinrich strich das Papier glatt und betrachtete es. Mit geschwungener Handschrift, die nach Feder und Tinte aussah, stand dort geschrieben: „Psychologischer Ansatz.“ Heinrich runzelte die Stirn und las weiter. „Schon von kleinauf dachtest du, du seiest ein Eigenbrötler. In der Schule warst du verträumt, hattest wenige Freunde, bist lieber in den Wald gegangen und hast alleine gespielt. Dass dich alle seltsam fanden, hat dir Kraft gegeben und dich zu etwas Besonderem gemacht. Du siehst dich als Einzelgänger zwischen den Chefs und den Mitarbeitern und der Konflikt bestätigt im Grunde genommen, dass du noch immer derselbe Eigenbrötler bist, der du schon immer warst … So ein Schwachsinn!“, rief Heinrich, zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Papierkorb. „Das habe ich längst hinter mir.“
„Dann nimm die zweite Nuss.“
Heinrich haute erneut mit dem Locher zu, wieder fand er ein Stück Papier vor.
„Sprachwissenschaftlicher Ansatz. Wenn du mit den Chefs sprichst, greifst du auf ein anderes Sprachregister zurück, als wenn du mit den Mitarbeitern sprichst.Du wechselst quasi ständig die Sprache und verlernst dabei deine eigene. Du steckst sozusagen in einer Sprachkrise. Wenn das so weitergeht, könnte eine Identitätskrise daraus werden … Das macht mir Angst, nächster Versuch.“ Er legte die Sprachwissenschaft zur Seite und knackte voller Erwartung die dritte Nuss.
„Literaturwissenschaftlicher Ansatz.“ Er warf einen fragenden Blick auf den Pudel, der begeistert hechelte und mit dem Schwanz wedelte. „Wohnen zwei Seelen, ach, in deiner Brust? Hast du immer noch nicht herausgefunden, was die Welt im Innersten zusammenhält? Dann ist der literaturwissenschaftliche Ansatz wohl der richtige für dich.Wende dich an eine zwielichtige Gestalt, die von sich behauptet, sie sei der Hund, der stets verneint, zieh mit ihm um die Häuser, besauft euch in einer üblen Spelunke namens Auerbachs Keller, feiert Walpurgisnacht, bis die Hexen von ihren Besen fallen, und wenn du dann noch nicht die Schnauze voll hast, such dir ein viel zu junges Ding und setz mit ihr ungeplant ein Kind in die Welt. Spätestens dann ist dir dein Rollenkonflikt scheiß-e-gal.“ Heinrichs Gesicht erhellte sich.Wie ein Erleuchteter sah er zum Pudel. „Das ist die Lösung! Pudel, lass und sofort mit dem Programm beginnen.“
„Einen Moment noch,“ antwortete der Pudel, „ich müsste mich noch schnell in Mephisto verwandeln, als Hund feiert es sich nicht so gut. Dürfte ich kurz deine Toilette benutzen?“
„Ja, natürlich. Den Flur entlang, zweite Tür rechts.“
Der Pudel tapste davon. Heinrich stand auf und streckte sich. Er spürte, wie der Tatendrang in ihm erwachte. Gespannt schaute er den dunklen Flur hinunter. Gleich würde er auftauchen – Mephisto. Zusammen würden sie feiern, bis es sein Problem nicht mehr gab. Und nebenbei würden sie beweisen,  dass Literaturwissenschaft durchaus etwas mit dem wahren Leben zu tun hatte. Es gab nämlich noch immer Leute, die daran zweifelten.

 

Drei Haselnüsse für einen Manager – Teil 1

Da hatte er nun, ach, Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre und leider auch Juristrei studiert und hatte es schließlich nur ins mittlere Management eines traditionellen Betriebes geschafft, der Buntstifte herstellte. Er hatte diese Stifte schon oft ausprobiert, denn jedes Mal, wenn ihm der Stress in der Firma zuviel wurde, holte er sein Mandala-Malbuch aus der Schreibtischschublade und malte die vorgegebenen kleinen Flächen aus. Und niemals über den Rand. Das Problem an Heinrichs (wie sollte er sonst heißen?) Job war, dass er im mittleren Management unter einem Rollenkonflikt litt: Den Chefs gegenüber, den Grafen zu Staedtler und Walldorf, musste er sich stets souverän verhalten. Sie sollten nicht erfahren, dass er oft Selbstzweifel hatte und sich ungeheuren Druck machte, die Umsatzvorgaben zu erfüllen. Wenn nun einmal weniger Buntstifte verkauft wurden, da die Leute lieber Grafikprogramme benutzten, musste er dies gekonnt überspielen mit Sätzen wie: „Bald ist wieder Schulanfang, und die Kinder brauchen Buntstifte.“ Seinen Mitarbeitern dagegen musste er sich oft von der verständnisvollen Seite zeigen. Sie erledigten ihre Arbeit gut und mochten ihren Chef. Daher konnte er nicht nein sagen, wenn Bitten kamen wie: „Darf ich früher gehen? Ich habe keinen Babysitter gefunden!“ Heinrichs Problem war das Wechselbad zwischen Glatt-Sein und Menschlich-Sein. Oft bewunderte er den gelassenen Buchhalter Wagner, der um Punkt neun morgens pfeifend seinen Computer hochfuhr, den ganzen Tag Zahlen von einem Konto aufs andere schob und nebenher Lion Cereals futterte. Manchmal sang er sogar die Buchungssätze vor sich hin. Um 17 Uhr fuhr er seinen Computer dann wieder runter, verabschiedete sich von denen, die länger bleiben mussten, und ging pfeifend nach Hause.

An einem Abend saß Heinrich alleine in seinem Büro, seine Mitarbeiter waren schon gegangen. Die Räume lagen im Dunkeln, nur Heinrichs Schreibtischlampe brannte. Resigniert, die Stirn auf die Hände gestützt, kauerte er an seinem Schreibtisch. „Hier sitz ich fest, ich armer Tor, kann nicht zurück, und kann nicht vor,“ seufzte er und begann, über eine Kündigung nachzudenken. Da hörte er plötzlich ein Trippeln im Flur, das nach Hundepfoten klang. Heinrich blickte erschrocken auf. Woher sollte jetzt so plötzlich ein Hund kommen? Er schaute weiterhin in die Richtung, und tatsächlich, etwas bewegte sich und kam auf ihn zu. Als es das Büro betrat, erkannte Heinrich, dass es ein schwarzer Königspudel mit einem kristallbesetzten Halsband war. Heinrich lächelte. „Ja, wer bist du denn? Gehörst du der Gräfin zu Staedtler und Walldorf?“
„Nein,“ antwortete der Pudel. Heinrich erschrak. „Du kannst ja reden! Bist du etwa ein Mensch in einem Kostüm?“
„Nein, nein.“
„Oder ein ferngesteuertes Stofftier?“
„Dreimal nein.“
„Wer bist du dann?“
„Ich bin der Hund, der stets verneint.“

(Fortsetzung folgt)

 

 

 

 

Jogi – der Schrecken der Sofakissen

Beim Gassi gehen am Nachmittag stießen Samu und ich heute auf ein paar Nachbarn, die einen Hund gefunden hatten, ein kleines, schmutzigweißes Wuschelvieh, ziemlich nervös. Eine Bewohnerin aus meinem Haus rief beim Tierheim an, dort meinte jemand, sie würden den Hund abholen und bei sich unterbringen, bis sich der Besitzer meldete. Da ich gerade Urlaub hatte, erklärte ich mich bereit, den Wuschel aufzunehmen, bis die Leute vom Tierheim kämen und gab ihnen meine Handy-Nummer. Ich drehte mit Samu, der Nachbarin, deren Hund und dem gefundenen Malteser noch eine Gassi-Runde, dabei erhielt der Hund auch einen Namen: Jogi – aus aktuellem Anlass. Noch konnte ich nicht ahnen, dass auch dieser Jogi peinliche Sachen kann. Ich behielt ihn vorsichtshalber an der Leine, damit er nicht wieder ausbüchsen konnte. Daheim angekommen schälte ich Jogi aus seinem Geschirr, an dem Pferdemist klebte – offensichtlich hatte er sich darin gewälzt, um für die Hündinnen gut zu riechen. Für Wasser und Futter interessierte er sich nicht, dafür aber für: Samus Hintern. Samu ist nämlich kastriert und riecht offensichtlich wie ein Weibchen. Jogi war völlig aus dem Häuschen und versuchte ständig, Samu zu rammeln, was ihm nicht gelang, weil Samu dreimal so hoch ist wie er (Rhodesian Ridgeback). Samu knurrte ständig, und ich hatte schon Angst, er könnte zuschnappen. Doch er schnappte nicht, sondern knurrte einfach weiter. Jogi schob auch Decken und Kissen auf dem Sofa zusammen, um sie als Samu-Ersatz zu gebrauchen. Mitten in dem Gerammel klingelte es an der Tür  – Endlich, das Tierheim. Auf dem Display der Tür-Kamera sah ich zwei ältere Menschen, die nach Tierheim aussahen. Ich ließ sie hochkommen und begrüßte sie mit: „Der große gehört uns, den kleinen habe ich gefunden,“ als ich den „Wachturm“ in der Hand des Mannes sah. „Oh, Sie sind gar nicht vom Tierheim…“ Ich schickte also die Zeugen Jehovas wieder weg und wartete weiter mit dem liebestollen Jogi. Da klopfte es an der Tür (ich dachte noch: warum Klopfen?), es war meine Mitbewohnerin, die Jogi gefunden hatte. Sie wollte mal nach dem Hundchen schauen. Wir kamen ins Gespräch und wechselten zum Thema „Wohnungen“, worauf ich mir mal ihre Wohnung anschauen wollte. Als wir meine  Wohnung verließen (ich mit Jogi auf dem Arm), sahen wir vor dem Haus einen Kombi mit offenem Kofferraum, in dem eine Hundebox stand. Eine Frau und ein Mann standen dabei, dieser war eifrig am Telefonieren. Das konnten nur die Tierheim-Leute sein. Wir gingen runter, klärten, ob Jogi der gesuchte Hund war – tatsächlich, ganz in der Nähe vermisste jemand seinen Malteser „Rocky“ – dann meinte der Mann vom Tierheim: „Ich habe geklingelt, keiner machte auf, und ans Telefon geht auch niemand.“ Kein Wunder, ich hatte beim Zeugen-Reinlassen aus Versehen die Klingel abgestellt, außerdem hatte meine Telefonnummer, die sich der Mann notiert hatte, einen Zahlendreher. Ich holte noch das klatschnasse Geschirr aus meiner Wohnung und meinte zum Herrn vom Tierheim, er solle dem Besitzer raten, den Hund kastrieren zu lassen. Meine Mitbewohnerin begleitete die Leute mit dem Hündchen noch zum Besitzer. Und ich? Ich ging wieder hinauf, schaute, ob Samu noch immer beleidigt war, dann schnappte ich mir die Sofadecke und die Kissenbezüge, auf denen Jogi über die Prärie geritten war, und steckte alles in die Waschmaschine.

Mein Lieblingsthema: Das kulturelle Gedächtnis

Überall wo man hinschaut gibt es Jubiläen. Einige Stadtteile feiern ihr 1250., das Fahrrad nächstes Jahr sein 200. und das Reinheitsgebot ist auch schon 500 Jahre alt. Oft hört man Sätze wie: „Wir leben jetzt und hier, warum zurückschauen? Die Gegenwart ist das, was zählt.“ Wenn es um persönliche Angelegenheiten geht, mag das stimmen. Aber nicht, wenn es um Geschichte geht. Ohne den Blick zurück wüssten wir nichts über die „graue Vorzeit“, die Stadtgeschichte oder die eigenen Vorfahren. Wir wüssten nicht, wie sich die gegenwärtige Welt aus der vergangenen entwickelt hat. Das kulturelle Gedächtnis ermöglicht uns erst, diese Jubiläen zu feiern, denn hier wird alles gespeichert, was wichtig ist. Einen großen Beitrag zu diesem kulturellen Gedächtnis leisten die Museen, hier in Mannheim die Reiss-Engelhorn-Museen oder das Heimatmuseum in Seckenheim, oder die Autoren, die Chroniken über ihre Stadt oder ihren Stadtteil veröffentlichen. Wusstet Ihr, dass es den Maimarkt schon seit 1613 gibt? Das sind fünf Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg. Damals gab es noch kein Maimarktturnier und Zelte mit ausgefallenen Schmankerln, da gab es hauptsächlich eines: Vieh.

Wohnt auch Ihr in einem Ort, der in diesem Jahr sein Jubiläum feiert? Dann schaut mal bei einer Veranstaltung vorbei, bei der es um das kulturelle Gedächtnis Eures Ortes geht! Die Merowinger freuen sich auf Euren Besuch!

 

Angst ist nur ein Gefühl

Wahrscheinlich saßen auch Sie am Wahlsonntag nach 18 Uhr gespannt vor dem Fernseher und verfolgten die Hochrechnungen der Landtagswahlen, deren Ergebnisse fast unglaublich waren. Dann die Ergebnisse aus Mannheim: im Süden gewinnt Wolfgang Raufelder (Grüne), im Norden Rüdiger Klos (AfD), gegensätzlicher geht es nicht. Deutschlandweit schafft es die AfD aus dem Stand auf zweistellige Prozentanteile. Nimmt man sich das Programm dieser Partei einmal genauer unter die Lupe, wird bald klar: die Basis heißt Angst. Angst vor dem Unbekannten, vor Veränderungen, Angst vor zu viel Freiheit und vor allem: Angst vor Rot-Grün. Aber Angst ist auch nur ein Gefühl, und Gefühle verändern sich schnell. Mit Gefühlen lässt sich nicht langfristig Politik machen. Die Protestwähler werden bald merken, dass „ihr Deutschland“ doch nicht dem Untergang geweiht ist und vielleicht bei der nächsten Wahl auf ihre „Stammplätze“ zurückkehren. Liebe AfD-Wähler. Lehnt euch zurück, atmet tief durch, entspannt euch und dann denkt nochmal über alles gründlich nach. Und BITTE, findet euch damit ab, dass das 19. Jahrhundert vorbei ist.