Drei Haselnüsse für einen Manager – Teil 2

„Der Hund, der stets verneint?! Ach so. Und warum bist du hier?“
Der Pudel kam zu Heinrich hinter den Schreibtisch. Durch das lockige Fell konnte er die Augen des Hundes hervorblitzen sehen. „Ich kenne dein Problem und habe dir etwas mitgebracht, schau, an meinem Halsband findest du es.“
Heinrich schaute sich den Pudel genauer an und erblickte ein kleines Säckchen aus schwarzem Samt, das am Halsband festgeknotet war. „Schnapp es dir!“
„Schnappst du auch nicht zu?“
„Nein!“
Als Heinrich das Säckchen abknotete, bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass der Pudel mit dem Schwanz wedelte. Vorsichtig befühlte er den Inhalt des Säckchens, es schien sich um drei kugelartige Dinge zu handeln. „Jetzt schau schon hinein!“ Heinrich lockerte das Zugband und ließ den Inhalt auf seinen Schreibtisch kullern. „Drei Haselnüsse?“, fragte er verdutzt, „Sehe ich aus wie Aschenbrödel?“
„Nein. Und du hast auch nicht drei Wünsche frei, sondern in den Nüssen stecken drei Lösungsansätze für dein Problem.“
„Du weißt von meinem Konflikt zwischen der Führungsebene und den Mitarbeitern!“
Der Pudel nickte. Heinrich nahm die erste Haselnuss. „Was muss ich tun?“
„Knacken.“
Er sah sich auf dem Schreibtisch nach etwas Schwerem um und entschied sich für seinen Locher. Er haute auf die Nuss, sodass die Schale zersprang, und hervor kam ein zerknüllter Zettel, der relativ groß war für die kleine Nuss. Heinrich strich das Papier glatt und betrachtete es. Mit geschwungener Handschrift, die nach Feder und Tinte aussah, stand dort geschrieben: „Psychologischer Ansatz.“ Heinrich runzelte die Stirn und las weiter. „Schon von kleinauf dachtest du, du seiest ein Eigenbrötler. In der Schule warst du verträumt, hattest wenige Freunde, bist lieber in den Wald gegangen und hast alleine gespielt. Dass dich alle seltsam fanden, hat dir Kraft gegeben und dich zu etwas Besonderem gemacht. Du siehst dich als Einzelgänger zwischen den Chefs und den Mitarbeitern und der Konflikt bestätigt im Grunde genommen, dass du noch immer derselbe Eigenbrötler bist, der du schon immer warst … So ein Schwachsinn!“, rief Heinrich, zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Papierkorb. „Das habe ich längst hinter mir.“
„Dann nimm die zweite Nuss.“
Heinrich haute erneut mit dem Locher zu, wieder fand er ein Stück Papier vor.
„Sprachwissenschaftlicher Ansatz. Wenn du mit den Chefs sprichst, greifst du auf ein anderes Sprachregister zurück, als wenn du mit den Mitarbeitern sprichst.Du wechselst quasi ständig die Sprache und verlernst dabei deine eigene. Du steckst sozusagen in einer Sprachkrise. Wenn das so weitergeht, könnte eine Identitätskrise daraus werden … Das macht mir Angst, nächster Versuch.“ Er legte die Sprachwissenschaft zur Seite und knackte voller Erwartung die dritte Nuss.
„Literaturwissenschaftlicher Ansatz.“ Er warf einen fragenden Blick auf den Pudel, der begeistert hechelte und mit dem Schwanz wedelte. „Wohnen zwei Seelen, ach, in deiner Brust? Hast du immer noch nicht herausgefunden, was die Welt im Innersten zusammenhält? Dann ist der literaturwissenschaftliche Ansatz wohl der richtige für dich.Wende dich an eine zwielichtige Gestalt, die von sich behauptet, sie sei der Hund, der stets verneint, zieh mit ihm um die Häuser, besauft euch in einer üblen Spelunke namens Auerbachs Keller, feiert Walpurgisnacht, bis die Hexen von ihren Besen fallen, und wenn du dann noch nicht die Schnauze voll hast, such dir ein viel zu junges Ding und setz mit ihr ungeplant ein Kind in die Welt. Spätestens dann ist dir dein Rollenkonflikt scheiß-e-gal.“ Heinrichs Gesicht erhellte sich.Wie ein Erleuchteter sah er zum Pudel. „Das ist die Lösung! Pudel, lass und sofort mit dem Programm beginnen.“
„Einen Moment noch,“ antwortete der Pudel, „ich müsste mich noch schnell in Mephisto verwandeln, als Hund feiert es sich nicht so gut. Dürfte ich kurz deine Toilette benutzen?“
„Ja, natürlich. Den Flur entlang, zweite Tür rechts.“
Der Pudel tapste davon. Heinrich stand auf und streckte sich. Er spürte, wie der Tatendrang in ihm erwachte. Gespannt schaute er den dunklen Flur hinunter. Gleich würde er auftauchen – Mephisto. Zusammen würden sie feiern, bis es sein Problem nicht mehr gab. Und nebenbei würden sie beweisen,  dass Literaturwissenschaft durchaus etwas mit dem wahren Leben zu tun hatte. Es gab nämlich noch immer Leute, die daran zweifelten.

 

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